Text Zwischenwelten

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Das Leben auf Wanderschaft, das Verweilen an den Rändern der Städte und ihren Zwischenräumen, die Szenarien und Konstellationen einer kleinen Zirkusfamilie, sind Thema des Bildessays „Zwischenwelten“ von Yvonne Salzmann. Sie hat die Artistenfamilie Lauenburger mit ihrem Wanderzirkus „Baronesse“ auf ihren Stationen durch Norddeutschland über einen längeren Zeitraum begleitet. Es ist ein reportageartiger Einblick in ein anderes Leben, ein Blick, der erforscht, entdeckt und ganz nah ist an dem Leben. Es ist auch das Nachdenken über unsere kulturellen Kategorien und Systeme, über die Subjektivität und Objektivität von Wahrnehmungen und Strukturen, über das ihre Bilder sprechen.

Diese Welt, die uns Yvonne Salzmann hier in ihren Bildern offenbart, ist nicht eine der Märchen und der träumerischen Fantasie, auch keine fotografierte Vagabundenfabel. Wir erfahren nur wenig über die künstlerischen Darbietungen und den Zauber der Manege, stattdessen setzt die Fotografin ihren Focus auf das, was zwischen diesen Menschen ist, was sie zusammenhält in ihrer Rastlosigkeit und im Schweben zwischen den Welten.

Salzmanns Blick auf die Wirklichkeit ist unparteiisch, sie zeigt nur, kommentiert nicht und entwickelt einen eigenen dokumentarischen Stil, der Genauigkeit verbindet mit einer nicht subjektiven Sicht auf die Familie zwischen Fahr- und Stelltagen, zwischen Alltag und Programm und einer Wirklichkeit zwischen Magie und harter Arbeit.

Einzigartig ist die Entstehung dieser Bilder. Es sind keine Schnappschüsse aus dem Hinterhalt, auch keine Posen, sondern Porträts – unbemerkt, fast in Tuchfühlung mit den Menschen aufgenommen. Sie bewahren die Fremdheit des Angesichts, halten penibel dessen undurchdringliche Oberfläche fest und lassen auf diese Weise einen inneren Zustand nur erahnen. Die ihnen eigene Spannung zwischen taktvoller Distanz und analytischer Präzision erzielt die Fotografin ohne den Einsatz künstlicher Mittel. Realismus mit einem Hauch der Poesie und der Lyrik liegt in den Tageslichtaufnahmen vom Zirkusplatz, im Dialog mit den Tieren und im Dunkel des Zeltes bei den Proben.

Es ist ein schwebendes, lichtes Erzählen, das Yvonne Salzmann hier mit ihren Bildern in Gang setzt. Eines das erst Halt sucht in den Gesichtern und sich dann den Ton langsam erobert und in kleinen Etappen die Episoden und Augenblicke des Alltags mit seinen Randerscheinungen beleuchtet.

Dabei enthalten sich ihre Bilder jeder oberflächlichen Gesellschaftskritik. In sachlicher Beschreibung der Phänomene bieten sie vielmehr dem Betrachter die Möglichkeit eigener Beobachtung und Erkenntnis auf die Ränder unserer urbanen Gesellschaft am Beginn des 21. Jahrhunderts und dass mit einem ein Blick, der nah ist an den Menschen, ohne Wertung aber mit großer Empathie.

Yvonne Salzmann erreicht mit dieser Form der Fotografie eine ungeahnte Nähe zur Literatur. Nun ist Sprache das Material, aus dem Literatur entsteht, die Fotografie aber arbeitet mit Bildern. Sie verwendet die Bilder jedoch so, als ob sie Elemente von Sprache wären. Die kleinste Einheit ist das Bild, das all das enthält, was ein Motiv ausmacht. Im Zusammenfügen der Bilder aber bildet sie Sätze und stellt Beziehungen her – so entsteht ihr Text, ein fotografischer Bildessay.

Dr. Ute Maasberg
Kunsthistorikerin