Zonenrandgebiet

Orte an der B79, ehemals Reichsstraße und Fernverkehrsstraße, ehemals Zonenrandgebiet und Sperrgebiet, heute teils Landschaftsschutzgebiet. Ich fotografiere im ‚Heute‘.

Serie 1: ‚Off‘. Was hat mich bewogen, fotografisch ins ‚Off‘ einzutauchen, den Menschen näher zu kommen, die dort herrschende Dunkelheit und Stille zu erfahren, der Nachtigall morgens um 4.00 Uhr zu lauschen, derweil das Lagerfeuer ein letztes Glimmen erfährt? Wo Mensch, Tier und Natur noch sein dürfen? Das Handy aus bleibt und die Natur mit allen Sinnen erfahren wird? Das Gemüse und Obst aus der schwarzbraunen Erde für den Eigenbedarf geerntet wird?
Hier gibt es weder guten Empfang noch Geschäfte, nicht mal kleine Läden, nur Busse, die hier ihre Endstation haben. Letzter Ausstieg Mattierzoll. Stille. Wunderbar.
…und manchmal findet man im Dickicht noch Spuren wie Schottersteine entlang dieser ehemaligen Bahnstrecke, die Ost- und West vor der Teilung verband.

Serie 2:  zeigt drei Orte, verbunden durch die ‚B79‘ oder nah dran. Was ist hier der Bezug zum Vergangenen, zum Zonenrandgebiet? Randgebiet allemal. Verlassen, vergessen, übriggeblieben, abgehängt.
Mich interessierte, wie leben die Menschen heute dort? Was ist gewonnen, was verloren, was geblieben? Was trennt, was verbindet? Gibt es noch ein ‚hier‘ und ‚drüben‘?
Man kommt nicht mal mit dem Bus von Mattierzoll nach Hessen. Der Flugverkehr in diesen Gebiet ist wieder erlaubt. Der Verfall und Verlust überall spürbar.
Was bleibt? Wer bleibt? Geschichten werden wach, solche und solche.
Ein kurzes Eintauchen nur….                                                                 Yvonne Salzmann, 2019

 

Mattierzoll

Die deutsche Wiedervereinigung

Nach dem Fall der Mauer am 9. November 1989 distanzierte sich die Regierung der DDR zunächst von Überlegungen zu einer deutschen Wiedervereinigung. Die wirtschaftliche und politische Lage in der DDR wurde jedoch zunehmend instabil. Bei der Volkskammerwahl im März 1990 gab die Bevölkerung der DDR ein deutliches Votum für eine Wiedervereinigung Deutschlands ab. Die Bundesrepublik und die DDR unterzeichneten in der Folge zwei Staatsverträge, die die innenpolitische Wiedervereinigung regelten: der Vertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion und der Einigungsvertrag. Die außenpolitischen Aspekte regelte der „Zwei-plus-Vier-Vertrag“. Mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 trat die deutsche Wiedervereinigung in Kraft.
 (Internetseite Deutsches Rundfunkarchiv mit entsprechenden  Archivnachweisen)

Das regionale Gedächtnis
Mattierzoll – nur 30 Kilometer entfernt
Nunmehr 26 Jahre ist es her, dass für 50 Jahre (1949-1989)  eine Nation durch Mauern und Stacheldraht getrennt war. Die Grenzöffnung in Mattierzoll erfolgte am frühen Morgen des November 1989.

Wie bin ich zu diesem Thema gekommen?

Nach einer spontanen kleinen Wanderung im Grenzgebiet Mattierzoll im Jahr 2014, war mir schnell klar, dass das Grenzgebiet mein Thema zum regionalen Gedächtnis wird. Geschichte hautnah. Vom Museum für Photographie in Braunschweig sind es fast genau 30 Kilometer bis zur ehemaligen Grenze Mattierzoll. Ein Katzensprung – einfach Glück gehabt.
Als ich dort fotografiert habe, ist es mir an einer Stelle besonders nah gegangen. Es waren nicht die Reste des Zaunes, nicht der betonschwere ehemalige Wachturm, auch nicht die Überreste der Betongrenzwege. Es passierte, als ich in Veltheim bei Hessen auf der Anhöhe stand und den Blick gen Norden richtete, mit der Vorstellung der bewaffneten Grenzbeamten, der Zäune, der Nähe der Freiheit. Da habe ich das erste Mal im Ansatz erahnt, was es bedeuteten musste, in dieser unmittelbaren Nähe zur Grenze zu leben. Luftlinie gefühlt keine 1000 Meter entfernt- so nah und doch so fern. Das hat mich sehr berührt.
Und dann habe ich gedacht, wie kann es sein, dass in diesem Land, im 20. Jahrhundert, es möglich war, dass solch menschenrechtsverletzende Dinge passierten, dass Menschen erschossen wurden, weil sie aus dem vorhandenen System ausbrechen wollten, dass Misstrauen und Bespitzelungen an der Tagesordnung waren, Fluchtversuche durch Verrat vereitelt wurden. Das es Erpressungen und Folter gab, die menschenrechtsverletzend und völlig unangemessen waren, dass die Menschen jahrelang in Gefängnisse gesperrt wurden, nur weil sie andersdenkend waren.
Das dies alles in dieser Form und in dieser unmittelbaren Nähe möglich war – das empfand ich als absurd. Und mit diesen Gedanken stand ich dort oben am Rübenrand und war sehr betroffen.