über mich

Being Human – Menschsein
Das Allgemeine in uns – das Besondere an mir
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Fotografieren – ein intransitives Verb

R. Barthes hat allen Kunstschaffenden eine besondere Hingabe zuerkannt, die auch die Fotografin Yvonne Salzmann charakterisiert. Er hat jede Form von Kunst als ein „intransitives Bemühen“ bezeichnet und Verben wie „Schreiben, Malen oder Foto-grafieren“ genannt. Nicht, dass diese Tätigkeiten keine produktiven Ergebnisse zeitigen würden, im Gegenteil – auch dieser Katalog ist wieder ein äußerst gelungenes Beispiel dafür – , aber das Besondere an dieser Hingabe ist, dass sie um ihrer selbst willen geschieht. Diese absolute Selbstreferenz, die keine Nabelschau ist, sondern pure intrinsische Motivation kennzeichnet die Kunst. Die Autodidaktin ist der beste Beweis dafür, nichts anderes zu wollen als zu Fotografieren und dieser Hingabe, für die sie sehr viel auf sich nimmt, alles unterzuordnen.

Von uns verlangt die diesjährige Preisträgerin, dass wir Position beziehen, uns zu ihren Werken nicht einfach so verhalten, sondern uns offen und ehrlich damit auseinander setzen. Being Human – Menschsein will Impulse geben und ist als Thema auch deshalb so weit gefasst, damit von vorne herein niemand einen Standpunkt außerhalb dieser Perspektive wählen kann. Als Menschen haben wir uns mit unserem Menschsein zu befassen. Wir können nicht ausweichen, weil auch nichts zu sagen, eine Meinung ist. Die Frage, wer und was wir sind, lässt sich nicht nicht beantworten, da das, was wir tun, was wir mit uns sein lassen und was nicht, immer schon unser Selbst- und Welt¬verständnis ausdrückt. Indem wir uns verhalten und handeln, sagen wir, wer wir sind und sein wollen.

Das Allgemeine in uns
Dabei wählt die Künstlerin zwei Wege, um uns näher zu kommen. Auf den ersten Blick, und dies ist ein Zeichen guter Kunst, haben diese beiden Zugänge nicht viel mitein­ander zu tun. Wir sehen einen Reigen von Bildern, in denen sich Menschen im wahr­sten Sinn des Wortes „zum Affen“ machen, Schwein haben und sich dem nackten Leben schutzlos aussetzen. Auf der anderen Seite sehen wir Bilder aus aller Welt. Yvonne Salzmann hat Kameras in alle Gegenden der Erde versandt und die Menschen gebeten, sich selbst zu fotografieren, bei dem, was ihnen wichtig ist. Was wie ein buntes Kaleidoskop aussieht, geht tiefer, wenn wir uns dem zweiten Blick öffnen, also nach der Verbindung, den Gemeinsamkeiten suchen, welche die Künstlerin im Sinn hat.

Yvonne Salzmann möchte den Menschen aus zwei Richtungen denken: da sind die Bilder, die uns nackt zeigen, so wie wir geboren wurden (bis auf die Masken). Diese Aufnahmen wollen sensibilisieren und auffordern. Im übertragenen Sinn lautet die Bot­schaft „Schwein gehabt“, im Sinne von Glück; denn es gibt keinen Grund für unsere vermeintliche Überheblichkeit. Der Mensch ist nicht die „Krone der Schöpfung“, sondern wir sind nicht mehr als eine eigene Entwicklung der natürlichen Evolution, die sich mit vielen Tieren einen Großteil des Genpools teilt, also „Schwein gehabt“ in doppelter Hin­sicht.

Yvonne Salzmanns Appell geht darin, dass das Verhältnis zwischen Mensch und seiner außermenschlichen Natur verletzlich ist.

Wir nutzen unsere Tier- und Pflanzenwelt zu unserem Vorteil – das Ganze gerät uns aus dem Blick. Woraus speist sich die Überzeugung, dass wir ein Recht haben, diese Welt nach unserem Willen zu gestalten? Yvonne Salzmann bleibt in ihrer Antwort nicht stehen, sondern lässt die Affen die kulturellen Errungenschaften, aber auch zivilisa­torischen Hinterlassenschaften der Menschen inspizieren. Wir sehen sie an Orten oder mit Symbolen unserer Kultur: in Bibliotheken, am Theater, in der Kirche oder als Schöpfungsmythos, aber auch einfach auf der Straße (mit einem Seitenblick auf Politik) und dem Schrottplatz.

Das Besondere an mir
Und das ist der zweite Zugang, den Yvonne Salzmann wählt. Der Blick auf jeden Ein­zelnen von uns lohnt sich. Was machen wir Menschen als Individuen aus unseren Möglichkeiten? Das Leben in seiner ganzen emotionalen Fülle wird ausgebreitet? Dieser Reigen eröffnet allen, die es wollen, die Gelegenheit, zu zeigen, was ihnen wichtig ist. Yvonne Salzmann möchte Impulse liefern und hat so viele Menschen als möglich gebeten, eine bildliche Antwort auf die Frage zu geben: „Wer sind wir und was bewegt uns?“ Es sind unsere Gefühle, – wie wir sie erleben und mit ihnen umgehen, über sie sprechen und von ihnen erzählen – die einen Unterschied zu den Tieren ausmachen.

Was machen wir aus unserem Menschsein? Was macht jedes Leben so besonders? Auf den ersten Blick wirken die Fotos bekannt. Zeitungen und Magazine liefern Bilder wie diese, wenn es darum geht, Menschen wie Du und Ich in Szene zu setzen. Doch auch hier offenbart sich der Unterschied auf den zweiten Blick. In den Journalen wirken diese Bilder oft wie Staffage. Sie dienen den Medien als Klischee, um sich ein Bild zu machen, die letztlich nur die eigene Meinung bedienen. Yvonne Salzmanns Bilder treffen uns dort, wo Worte nicht mehr hinkommen. Es sind Bilder, die die Menschen selbst von sich gemacht haben; d.h. sie haben sich nicht „hergegeben“, sondern selbst inszeniert. Somit erzählen die Bilder auch eine eigene Geschichte, die man sich an­hören und anschauen kann. Es sind Geschichten von großen Glücksmomenten, all­täglichen Begegnungen, von Familienstolz und Dingen, die es – ganz offensichtlich – wert sind, gezeigt zu werden.

Wie es Ute Maasberg zu „Zwischenwelten“, einer Fotoserie über fahrende Zirkus­artisten, die zum Teil in diesem Katalog abgedruckt ist, schrieb: „Es ist ein Projekt, das nah an den Menschen ist, an den Fragen, wie diese Leute leben, was ihre Wün­sche sind, wie sie ihren Alltag und ihre Arbeit gestalten und wie sie miteinander um­gehen, sei es als Familie und als Team.“

Sinnvoll von sich selbst erzählen
Und dann gibt es noch die Bilder höchster Intimität, die Yvonne Salzmann in einer Lage größter Verletzlichkeit zeigen, zu der nur gute hingebungsvolle Künstler fähig sind. Sich derart schonungslos selbst an das Bild als Form zu entäußern, verlangt ungeheuren Mut und nötigt großen Respekt ab. Viele von uns wären in solchen Momenten in sich verschwunden und hätten nichts Preis gegeben. Aber die Künstlerin möchte von diesem schweren Moment erzählen und schafft „stehende Bilder“. Eindrücke, die nicht mehr loslassen, sondern sich festsetzen. Sie lässt uns teilhaben an einer Empfindsam­keit, die an Intensität kaum zu überbieten ist.

Bleibt zum Abschluss des Reigens eine Serie von Bildern, welche sich spielerisch mit den Rollenerwartungen an die Frau auseinandersetzen. Auch hier wird schnell deutlich, dass die Suche nach Identität, also danach, wie kann ich sinnvoll vor mir selbst sprechen, im Zentrum steht. Was wieder zuerst Klischees zu bedienen scheint, öffnet den Blick auf die reale Welt von Frauen. Neben unseren biologischen Wurzeln, die wir alle teilen, gibt es auch ein soziales Allgemeines in uns, mit dem wir uns befassen müssen, wenn wir das Besonderen in uns suchen und zur Geltung bringen wollen.

Der Sinn einer Maske ist es, sich zu verbergen, manchmal verstecken wir uns aber auch hinter einer Fassade. Das Wort Person kommt aus dem Lateinischen und meint „per sonare“, also durch etwas hindurch klingen. Es ist die Person, die durch die Maske des Allgemeinen hindurch zum Vorschein kommt. Die Individualität des Einzelnen, der verborgene Kern, seine Persönlichkeit – das Besondere, das ist es, was Yvonne Salz­mann in ihren Bildern so stark und respektvoll in Szene setzt. Wer sich darauf einlässt, wird viel auch über sich selbst lernen und darüber wie wir Menschen sinnvoll von uns und unserer Würde erzählen.

Dr. Stefan Wolf
Gastprofessor an der HBK Braunschweig
Soziologe und Philosoph